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Jetzt mit mehr Geschmack: Basel stärkt die Phänomenologie: Admir Greljo, Theoretiker und neuer Assistenzprofessor, verknüpft verschiedene Physik-Welten miteinander (CHIPP)

Greljo Admir

Gestatten? Heute möchten wir Ihnen einen der jüngsten Neuzugänge der Universität Basel in den Naturwissenschaften vorstellen: Tenure-Track Assistenzprofessor Admir Greljo. Er ist seit dem Frühjahr am Departement Physik der Universität tätig und hat viele Pläne und Ideen im Gepäck. Wie eine Kindheit im Krieg seine Karriere beeinflusst hat und wie er hofft, das Geheimnis der verschiedenen „Flavours“ in der Teilchenphysik zu lösen, erfahren Sie hier ...

Admir Greljo ist Phänomenologe. Stellen Sie sich vor, dass die theoretische Physik eine bestimmte Sprache spricht und die Experimentalphysik eine andere, dann ist die Phänomenologie - ein Zweig der theoretischen Physik – wie ein Dolmetscher zwischen den beiden Sprachen. Wenn Theoretiker:innen eine Sache postulieren und Experimentator:innen etwas anderes messen, wenden sie sich an Phänomenolog:innen, um Antworten zu finden. Wenn ein Theoretiker eine neue Idee hat, sind es die Phänomenologen, die herausfinden, wie sie durch Experimente überprüft werden kann. Und wenn die Daten aus Experimenten ungewöhnliche oder unerwartete Ergebnisse zeigen, ist es die Phänomenologie, die sich ganz aufgeregt darauf stürzt und versucht, dem Ganzen einen Sinn zu geben.

Es gibt überzeugende experimentelle Hinweise dafür, dass Materie in drei verschiedenen Generationen existiert, aber niemand weiss warum - es gibt dafür noch keine theoretische Erklärung.“ Bei den Quarks gibt es zum Beispiel sechs verschiedene Arten, die auf englisch „Geschmacksrichtungen“ – „Flavours“ – genannt werden. Up- und Down-Quarks, die leichtesten, gehören zur ersten Generation; Strange- und Charm-Quarks zur zweiten, und die Schwergewichte Top und Bottom gehören zur dritten Generation. Ihre Massen sind so unterschiedlich, dass sie über viele Grössenordnungen reichen. "Es gibt so viele verwirrende Fragen zu den Flavours der Materie, nicht nur zu ihrer Anzahl, sondern auch zu den Verhaltensmustern, die wir an ihnen beobachten", erklärt Greljo. "Wir wissen einfach nicht, warum die Dinge so sind, wie sie sind." Seine Faszination teilt er unter anderem mit Nobelpreisträger Steven Weinberg. Auf die Frage vom CERN-Courier, welches Rätsel er zu seinen Lebzeiten gerne noch gelöst sehen würde, nannte das beobachtete Muster der Quark- und Leptonenmassen (d. h. der Elektronen und ihrer schwereren Vettern aus den anderen Generationen, Myon und Tau).

Weinberg ist das leider nicht gelungen...

Aber genau diesem Rätsel will Admir Greljo nun auf den Grund gehen – und dazu noch einigen anderen. Aber von Anfang an. Wann wusste er, dass er in Richtung Physik gehen wollte? „Ich bin in der Schule in Mostar in Bosnien und Herzegowina zum ersten Mal mit Physik in Berührung gekommen, als ich etwa zwölf Jahre alt war, und es hat vom ersten Tag an Klick gemacht“, erzählt er. Er wollte mehr wissen, und schon bald nahm er regelmässig an Physikwettbewerben für Schüler teil und gewann viele Preise, darunter eine Medaille bei der Internationalen Physikolympiade. Er hatte keinen Zweifel daran, dass er Physik studieren würde. „An der Universität von Sarajevo hatte ich hervorragende Professoren für theoretische Physik“, sagt Greljo, aber es war am Ende ein Kurs über Elementarteilchenphysik in seinem letzten Studienjahr, der endgültig seine berufliche Richtung bestimmte.

Mit nur 24 Jahren hatte er seine Promotion an der Universität von Ljubljana in Slowenien abgeschlossen. Es war 2014 und die Physikwelt war noch ganz berauscht von der Entdeckung des Higgs-Teilchens am LHC am CERN zwei Jahre zuvor. Auch seine Dissertation befasste sich mit dem Higgs und die Phänomenologie dieser neuen Ergänzung des Standardmodells der Teilchenphysik. Eine von Greljos Aufgaben bestand darin, zu untersuchen, wie andere neue Teilchen – zum Beispiel dunkle Materie – die Eigenschaften des Higgs beeinflussen würden, eine andere befasste sich bereits mit dem Higgs in Kombination mit dem Top-Quark.

Seine erste Postdoktorandenstelle brachte ihn in die Schweiz in die Gruppe von Gino Isidori in Zürich. Admir Greljo empfindet diese Zeit als die einflussreichste Station in seiner Karriere und als die Zeit, die wirklich definiert hat, was er heute tut. „Ich habe mit Higgs-Phänomenologie angefangen und dann schnell zur Flavour-Physik übergewechselt“ - diese hatten sich endgültig fest in seiner Arbeit etabliert. Isidoris Gruppe war eine der ersten weltweit, die sich mit dem Problem der Anomalien in b-Meson-Zerfällen befasste und an neuen physikalischen Konzepten jenseits des Standardmodells arbeitete, die mit dem Flavour-Puzzle zusammenhängen.

In seinen aktuellen Forschungsarbeiten versucht Greljo, Verbindungen zwischen den verschiedenen Flavour-bezogenen Ergebnissen der LHC-Experimente CMS und ATLAS und den Ergebnissen des „Flavour-Spezialisten“-Experiments LHCb zu finden, um etwaige Ähnlichkeiten oder verräterische Anzeichen eines Musters aufzuspüren. „Es sieht so aus, als ob sich hinter diesen grossen Unterschieden in der Masse etwas verbirgt, das wir nicht verstehen“, sagt Greljo. „Wir versuchen, eine Erklärung zu finden, die dem Ganzen einen Sinn gibt.“

Die Weichen für seine Entschlossenheit und seine Fähigkeit, viel Energie in die Lösung physikalischer Probleme zu stecken, könnten in seiner frühe Kindheit gelegt worden sein. Der Theoretiker wurde 1989 im heutigen Bosnien und Herzegowina geboren, drei Jahre vor Ausbruch des Bosnienkriegs. Seine Familie wurde innerhalb des Landes zwangsumgesiedelt und verbrachte lange Zeit in Lagern und Behelfsunterkünften. Um etwas zu tun zu haben, brachten Greljos Familienmitglieder ihm das Lesen bei, und er las alles, was er in die Finger bekam, um sich die Zeit zu vertreiben. „Damals war es für mich undenkbar, dass ich einmal Physikprofessor in Basel werden würde“, erzählt er. Inzwischen hat er selbst einen vierjährigen Sohn und staunt jeden Tag neu darüber, wie Kinder die Welt entdecken.

Und nun ist er hier und baut als Physikprofessor in Basel ein wachsendes Team auf, das nicht nur Theorie und Experiment miteinander verbindet, sondern auch die verschiedenen Experimente der Hochenergiephysik auf der ganzen Welt, die sich mit Symmetrien (und gebrochenen Symmetrien) rund um Quarks beschäftigen. Dieses Projekt hat er von seiner früheren Forschungsstelle in Bern mitgebracht, wo er im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts eine Gruppe aufgebaut hat, die sich mit dem Zusammenspiel der Flavour-Phänomenologie in verschiedenen Experimenten an unterschiedlichen Collidern befasst. Die gesamte Gruppe – derzeit zwei Postdocs und zwei Doktorierende, aber das Team wächst noch weiter – kam mit ihm von Bern nach Basel.

Zwischen seinen Arbeitsstationen in Zürich und Bern war Admir Greljo zunächst für einen weiteren Postdoc in Mainz in Deutschland und dann für ein Fellowship am CERN – „auch eine wunderbare Zeit, die meinen Horizont wirklich erweitert hat“, sagt er. Die Theoriegruppe am CERN ist eine der grössten in Europa und bringt viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Fachgebieten zusammen. Im Grunde ist sie ein grosser Abenteuerspielplatz für junge (und junggebliebene) Theoretiker:innen, die sich gegenseitig mit Ideen anstecken und neue Anregungen geben können. Greljo hat auch ein paar neue Dinge ausprobiert: „Für eine bestimmte Klasse von Modellen wissen wir, dass die Massenhierarchien in Gravitationswellen als Signale aus dem frühen Universum auftauchen können“, erklärt er. „Es gibt Werte für jede Generation von Quarks und es scheint eine sehr tiefe Verbindung zu geben – aber wir wissen einfach noch nicht genug.“ Zukünftige Gravitationswellen-Experimente wie LISA oder das Einstein-Teleskop werden hoffentlich mehr Erkenntnisse liefern. Diese Signale aus der Frühzeit des Universums sind nur eines der vielen Dinge, die er im Rahmen seiner Tenure-Track-Stelle in Basel zu untersuchen hofft.

Die Fähigkeit, neue Ideen zu entwickeln, mag zwar der Antrieb der Phänomenologie sein, aber sie ist nicht das Einzige, was ein Professor braucht: Führung der Mitarbeitenden, Lehre und Verwaltung gehören ebenfalls zum Universitätsalltag. „Ich bin dabei, mich in all das einzufuchsen“, lächelt Greljo. Die Lehre ist der Teil, der ihm besonders viel Spass macht, und er freut sich darauf, seine erste Bachelor-Vorlesung zu geben.

Greljo ist zufrieden mit dem Stand der Dinge in der Welt der Phänomenologie. „Aus Sicht der Physik befinden wir uns in einer sehr interessanten Lage. Die Daten sind interessant, Experimente wie Belle II werden bald weitere Daten liefern, und es gibt wichtige Grundlagenarbeit zu leisten. Und es ist immer Platz für verrückte Ideen!“