/ Forschung / Oliver Morsch
Zweifel an Microsoft-Resultaten
Im März 2022 veröffentlichte Microsoft Forschungsergebnisse über die Realisierung einer speziellen Art von Teilchen, mit denen man besonders robuste Quanten-Bits herstellen könnte. Forschende der Universität Basel ziehen nun jedoch die Resultate zu diesen sogenannten Majorana-Teilchen in Zweifel: Durch Berechnungen zeigen sie, dass sich die Ergebnisse auch anders erklären lassen.
Im Jahr 1938 verschwand ein Genie plötzlich spurlos: Nach dem Kauf eines Fährtickets Palermo-Neapel blieb der junge italienische Physiker Ettore Majorana wie vom Erdboden verschluckt. Wenige Monate zuvor hatte er noch eine höchst seltsame Art von Teilchen postuliert. Diese Teilchen sollten ihr eigenes Antiteilchen sein und keine elektrische Ladung haben.
Seit einigen Jahren interessieren sich Physikerinnen und Physiker wieder verstärkt für die mysteriösen Partikel, die den Namen ihres verschollenen Erfinders tragen (dessen Verschwinden bis heute ungeklärt ist). Denn die Teilchen könnten möglicherweise als besonders robustes Quanten-Bit in Quantencomputern dienen.
Das grösste Hindernis beim Bau solcher Computer, die unglaubliche Rechenleistungen versprechen, ist die Dekohärenz – die Tatsache also, dass Störungen aus der Umwelt die empfindlichen Quantenzustände, mit denen Quantencomputer rechnen, in kürzester Zeit zerstören. Könnte man allerdings Majorana-Teilchen als Quanten-Bits einsetzen, so liesse sich dieses Problem auf einen Schlag lösen, da sie aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften eine eingebaute Immunität gegen Dekohärenz besitzen.
Gedämpfte Hoffnung
Forschende der Universität Basel haben nun mit einer im Fachjournal «Physical Review Letters» erschienenen Arbeit die Hoffnung gedämpft, schon bald mit Majorana-Teilchen rechnen zu können. Das Team um Prof. Dr. Jelena Klinovaja zeigt, dass die im März 2022 von Microsoft veröffentlichte Resultate, nach denen in den Labors des Computerkonzerns experimentell Majorana-Teilchen nachgewiesen wurden, wahrscheinlich doch nicht ganz stichhaltig sind.
«Der Weg, den Microsoft mit seinen Experimenten geht, ist sicher der richtige», sagt Richard David Hess, Doktorand und Erstautor der Studie, «doch unsere Berechnungen legen nahe, dass die Messdaten auch mit anderen Effekten erklärt werden können, die mit Majorana-Teilchen direkt nichts zu tun haben.»
Die Suche nach exotischen Teilchen ist Detektivarbeit auf höchstem Niveau, wobei die Ermittler sich auf einige wenige Indizien verlassen müssen. Nach diesen Indizien suchen sie mithilfe eines mit einem Supraleiter verbundenen Nanodrahts aus einem Halbleitermaterial, der tausendmal dünner ist als ein menschliches Haar. In einem solchen System, so die Vermutung, könnten sich Elektronen und Fehlstellen im Halbleiter zu Quasiteilchen zusammentun, die sich wie Majorana-Teilchen verhalten.
Charakteristische Anomalien
Durch Strommessungen hatten die Fachleute von Microsoft eine für solche Majorana-Zustände charakteristische Anomalie nachgewiesen und auch gezeigt, dass sich die supraleitenden Eigenschaften des Supraleiter-Nanodraht-Gespanns bei Anlegen eines Magnetfeldes in einer Art und Weise ändern, die auf eine sogenannte topologische Phase hindeuten.
In der Mathematik kann man Topologie damit veranschaulichen, dass sich zum Beispiel eine Kaffeetasse mit Henkel (ein «Loch») theoretisch zu einem Donut (ebenfalls ein «Loch», beide sind also topologisch gleich), nicht aber zu einer Kugel (kein «Loch») verformen lässt. Bei Majorana-Zuständen führt die Topologie dagegen zu der heiss begehrten Immunität gegen Dekohärenz.
«Wir haben nun die Experimente von Microsoft mathematisch modelliert und versucht herauszufinden, ob es für die Messergebnisse auch andere – im Jargon ‘triviale’ - Erklärungen gibt», erklärt Dr. Henry Legg, Postdoc in Klinovajas Arbeitsgruppe. Tatsächlich kamen die Basler Forschenden zu dem Schluss, dass sich sowohl die Strom-Anomalie als auch die supraleitenden Eigenschaften durch eine leichte Unordnung aufgrund von Fremdatomen im Nanodraht reproduzieren lassen.
«Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass Unordnung in solchen Experimenten eine wichtige Rolle spielt», sagt Jelena Klinovaja. Um Majorana-Zustände zweifelsfrei nachzuweisen und sie dann auch in Quantencomputern einzusetzen, brauche man daher letztendlich noch reinere Nanodrähte. An experimentellen Herausforderungen für die nächsten Jahre mangelt es also nicht.